Work in Progress - Stand 14. Februar 2016
WARUM WIR ALTEN UNS UM DIE MIGRATION KÜMMERN
WARUM WIR ALTEN UNS UM DIE MIGRATION KÜMMERN
- Weil wir uns schon immer für eine lebenswerte Gesellschaft gekämpft haben. Und der vernünftige Umgang mit Migration gehört eben dazu.
- Weil viele von uns persönliche aktive Migrationserfahrung haben und wissen, wie es ist, in der Fremde zu leben.
- Weil viele von uns passive Migrationserfahrung haben, und wissen wie es ist, wenn plötzlich Fremde zu uns kommen.
- Weil wir die Migrationsdiskurse und -rezepte - die ja oft auch von Fremdenangst und Fremdenhass durchsetzt waren – seit Jahrzehnten miterleben.
- Und weil wir wissen, dass kulturelle Inzucht zur Degeneration führt und Blutauffrischung für unser kleines Land lebensnotwendig ist.
- Weil wir wissen, dass Migration ein Grundpfeiler für die starke Wirtschaft unseres Landes ist und somit das Wohlergehen Aller ermöglicht. Unsere Renten sind migrationsabhängig.
ANALYTISCHE ELEMENTE
Wir sind alles Migranten. Migration
gehört zur Schweiz. Die Geschichte der Schweiz ist eine Geschichte der
Migration. Bis ins 19. Jahrhundert war die Schweiz ein Auswanderungsland, von
wo aus Menschen in die ganze Welt zogen, um eine bessere wirtschaftliche
Existenz aufzubauen (Wirtschaftsflüchtlinge?) Im 20. Jahrhundert haben dann
Migranten unsere Eisenbahntunnels, Autobahnen und Staudämme gebaut, Ohne sie
läge die Infrastruktur im Argen. Und Menschen mit Migrationshintergrund haben
wichtige kulturelle (Cabaret Voltaire!) und wirtschaftliche Impulse vermittelt
(Hayek!). Und Migranten haben dafür gesorgt, dass die Binnennachfrage eine
gesunde einheimische Basis für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes
garantierte. Migranten haben die Schweiz aus dem Kuhglocken-Reservat («Container-Perspektive»
gem. Jakob Tanner) in die moderne Welt geführt.
Viele
von uns haben deshalb auch persönliche Migrationserfahrungen oder kennen solche
aus den Kontakten mit Eltern, Grosseltern oder Verwandten. Dabei existiert in
unserem Kopf vor allem das Bild der Wanderungen über die Landesgrenzen. Die
Binnenmigration, etwa vom Wallis nach Bern, von Zernez nach Zürich oder von
Solothurn in die Romandie, ist dabei noch nicht einmal mitgedacht. Wenn wir sie
auch noch einbeziehen – weil es doch auch immer mit einer kulturellen
Neubegegnung verbunden ist – so findet sich in der Schweiz wohl kaum jemand,
der nicht einen Migrationshintergrund aufweist.
Migration kompensiert nur, was wir zu wenig gebären, und auch das nicht vollständig. Wie haben das nur unsere Vorfahren gemacht mit dem Bayboom, der ja nicht nur mit Bildung, sondern auch noch mit Arbeit versorgt werden musste? Und sie haben nicht einmal über Dichtestress geklagt, sondern einfach Autobahnen, Eisenbahnen und Universitäten gebaut!
Migration kompensiert nur, was wir zu wenig gebären, und auch das nicht vollständig. Wie haben das nur unsere Vorfahren gemacht mit dem Bayboom, der ja nicht nur mit Bildung, sondern auch noch mit Arbeit versorgt werden musste? Und sie haben nicht einmal über Dichtestress geklagt, sondern einfach Autobahnen, Eisenbahnen und Universitäten gebaut!
Demographie. Seit dem Babyboom fehlt uns der Nachwuchs – die
Vergreisung droht.. Und erst noch billiger, da wir keine Aufzuchtkosten
haben. Wir haben ja eine rückläufige
Geburtenzahl, die seit Beginn der 1970erJahre nicht mehr ausreicht für die
Bestandeserhaltung der Bevölkerung. Hierfür müssten die Frauen durchschnittlich
2,1 Kinder zur Welt bringen. Im Jahr 2013 waren es nur 1,52 Kinder pro Frau.
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Bundesamt für Statistik 2016 |
Migration kompensiert
nur, was wir zu wenig gebären, und auch das nicht vollständig. Wie haben das
nur unsere Vorfahren gemacht mit dem Bayboom, der ja nicht nur mit Bildung,
sondern auch noch mit Arbeit versorgt werden musste? Und sie haben nicht einmal
über Dichtestress geklagt, sondern einfach Autobahnen, Eisenbahnen und
Universitäten gebaut!
Sozialer Wandel.
Früher fand ja eine Unterschichtung statt, wie die Soziologen sagen. Viele
Migranten mit mangelhafter Ausbildung, die es den Eingeborenen erlaubten, zum
kleinen Chef aufzusteigen und an sozialem Prestige zu gewinnen. Dafür wurde
kräftig die Angst vor diesen «ungebildeten Halbwilden» geschürt, welche die
Grundregeln unseres Zusammenlebens missachteten, tagsüber unseren Frauen
nachpfiffen (und ihnen wahrscheinlich nachts auflauerten) und immer ein Messer
mit sich führten, mit deren Hilfe sie sich in Diskussionen durchsetzen konnten.
Vieles was heute in der politischen Propaganda läuft, knüpft nahtlos an jene
Bilder an.
Allerdings
leben wir heute nicht mehr in konjunktureller Überhitzung wie in den 60er
Jahren mit Innovationsgeist, Optimismus und minimaler Arbeitslosigkeit. Heute
sind Sparwut, Sozialabbau, vielfach zunehmende Ungleichheit, Vernachlässigung
der Infrastruktur und zunehmender Druck auf Arbeitsplätze die Stichworte, auf
denen sich die Angst vor dem Fremden aufbauen lässt. Und die Einwanderung
besteht bei weitem nicht mehr aus wenig Gebildeten, die einfach
Untergebenen-Positionen einnehmen, sondern vielfach aus Personen mit
Tertiärabschlüssen, die jetzt die Chefposten besetzen. Die Unterschichtung ist
einer Überschichtung gewichen.
Der Ausländerbegriff ist nicht unschuldig.
(Siehe
zu diesem Thema auch Artenschutz auf edupols.blogspot.ch) Auf den ersten Blick ist es klar: Wer
keinen roten Pass hat, ist Ausländer. Der Begriff ist jedoch nicht neutral,
sondern enthält scheinbar wichtige soziale Bedeutung: Er steht für das Fremde
(franz. étranger), Seltsam-Absonderliche
(engl. strange) für das nicht zur eigenen Kultur
Gehörige, und ist deshalb so
anfällig, Ängste und Abwehrreaktionen hervor zu rufen.
Wenn
wir das aber etwas genauer anschauen, kommen Fragen auf. Warum ist in Genf der
Mechaniker aus dem rund 400 km entfernten deutschsprachigen bündnerischen
Bergtal ein Einheimischer, sein Kollege jedoch aus dem 10 km entfernten französischsprachigen
Annemasse ein Ausländer, ein étranger?
Wer ist denn hier wohl der «Fremde»? Die
Legaldefinition der ausländischen Nationalität ist offensichtlich nicht
optimal, um die gesellschaftliche Problematik von „Fremdem“ und „Eigenem“ zu
betrachten. Andere Beispiele sind etwa die Komoren und Mayotte oder Berlin vor
und nach dem Mauerfall.
Und
wenn in Niedersachsen, wo etwa gleich viele Leute wie in der Schweiz leben,
jemand von ausserhalb der Landesgrenzen einwandert, ist er immer noch ein
Einheimischer (Deutscher), in der Schweiz aber sofort ein Ausländer. Und jetzt
verstehen wir auch, dass Schweiz,
Luxemburg oder Liechtenstein hohe Ausländeranteile (23%, 43% und 33%)
aufweisen, grössere Länder hingegen wie Deutschland, Frankreich oder
Grossbritannien (9%, 6% und 8%) vergleichsweise kleine.
Der Begriff der ausländischen Bevölkerung enthält
also eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Sachverhalte. In seiner
Heterogenität ist er somit als analytische Kategorie kaum tauglich, etwas
Sinnvolles, sozial Bedeutsames auszusagen, das über die blosse Angstmacherei
hinausgeht. Brauchbar ist er höchstens als bürokratische Kategorie einer
nichtssagenden Bevölkerungsbuchhaltung, die ziemlich sinnentleert ist.
Migrationsformen. Ähnlich
wie der Ausländerbegriff ist auch der Migrationsbegriff eher schwammig. Im
Moment sind ja die Asylsuchenden gerade in Mode. Und auch die sind ja nicht
gerade eine homogene Kategorie. Gelegentlich wird dann - im Zusammenhang mit
unseren Beziehungen zur EU – auch die Arbeitsmigration wieder Diskussionsstoff
abgeben (Stichwort Masseneinwanderung).
Und ob sich das Thema der Steuerflüchtlinge demnächst erledigen wird, wird sich
noch zeigen. Im Folgenden findet sich ein Versuch, die verschiedenen Formen der
Migration etwas auseinander zu nehmen:
Uns interessiert aktuell
vor allem die Asylmigration. Einige Ausführungen sind aber auch für die
Arbeitsmigration gültig.
PROBLEMFELDER
UND STRATEGIEN: EIN 7-PUNKTE-PLAN
Den Migranten wird ja
vieles zugeschrieben: Zerstörung unserer Kultur, Kriminalität bis zum
Terrorismus, Überlastung unserer Infrastruktur, Dumpinglöhne, steigende
Arbeitslosenzahlen, Probleme der 50-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt, Wohnungsnot,
Belästigung unserer Frauen, Überforderung unserer Schulen, etc. In der Tat sind
einige dieser Problemfelder durchaus akut, sie werden aber vor allem durch die
kapitalistische profitorientierte Produktionsweise und die damit
zusammenhängende neoliberale Finanz-und Steuerpolitik versursacht. Sie lassen
sich durch die notwendigen Korrekturen an diesem Gesellschaftssystem ändern und
haben mit Migration eigentlich gar nichts zu tun. Andere, wie die Kriminalität,
sind schlicht aufgebauscht oder existieren in dieser Form gar nicht.
Aber natürlich sind
Migrationsströme immer Ausdruck existierender Problemfelder. Und dafür müssen
wir eine vernünftige Strategie entwickeln, welche die Probleme tatsächlich löst
und nicht nur Vorwand bildet, um Demokratie abzubauen, die Armee aufzurüsten,
Sozialrechte zu minimieren, Ausnahmezustände auszurufen und damit nur die
heutigen Zustände zu zementieren.
1.
Menschen
suchen Schutz und Unterstützung. Wir helfen ihnen. Punkt. Da
gibt es auch kein Aber dahinter.
Eines der reichsten Länder der Welt kann und muss es sich leisten, Menschen in
Not erst einmal zu unterstützen. Und das ist auch keine Frage bei den
Grössenordnungen, welche unser Land betreffen – 2015 ein Saldo von rund 20'000,
das sind rund 2.5 Promille: Auf eine Gemeinde von 400 Einwohner trifft es da 1
Flüchtling, auf eine mit 2000 Einwohnern 4. Wir schaffen das, wenn wir wollen.
Schutz und Unterstützung heisst auch eine würdige Behandlung. Die berichteten
Gepflogenheiten von Kreuzlingen sind ebenso ein No-Go wie die Abnahme der
letzten Kleinvermögen der Schutzsuchenden.
2.
Rasche
und koordinierte Verfahren. Wir leben in einem Rechtsstaat. Natürlich soll diese
Unterstützung nicht einfach nach sozialromantisch-chaotischen Prinzipien
erfolgen. Rechtsstaatliche Verfahren bei denen auch die Schutzwürdigkeit und
die Bleiberechte abgeklärt werden, sind selbstverständlich. Auch wenn es
sinnvoll ist, solche Prozesse rasch abzuwickeln, müssen normale
Rechtsgrundsätze eingehalten werden. Das heisst auch, dass den Betroffenen
kompetente Rechtsunterstützung gewährt wird und Schnellverfahren ohne
Rekursmöglichkeiten nicht in Frage kommen.
Es ist
wenig sinnvoll, dies als schweizerischen Alleingang zu inszenieren – auch wenn
wir denn Mythos Sonderfall noch so sehr pflegen. Es geht wohl nicht anders, als
dass wir auf einheitliche europäische Kriterien der Aufnahme sowie auf
einheitliche Verfahrensgrundsätze hinarbeiten. (Auch wenn mir dabei das
zunehmend nationalistisch / populistische Europa wirklich Angst macht). Wieviel
Einfluss wir auf solche supranationalen Prozesse wirklich haben, hängt
wahrscheinlich auch davon ab, wie sehr wir uns in Europa sonst auch engagieren.
Die Schweiz kann sich beispielsweise natürlich nicht bei der
Personenfreizügigkeit abschotten und Sonderzüge fahren und dann bei schwierigen
Themen wie der Flüchtlingspolitik Kooperationen erwarten.
3.
Sichere
Routen. Wir wollen keine Toten weder im Meer noch auf dem Land. Die
Nachrichten und Bilder von Toten, von Frierenden und Verhungernden auf den
Flüchtlingsrouten sind unerträglich. (Und sie werden auch nicht erträglicher
wenn Weiwei in populistischer Manier auf diesen Zug aufspringen will …). Das
muss nicht sein. Wir können an der Quelle der Flüchtlingsströme Abklärungen
treffen, Aufklärung vermitteln und Teilverfahren durchführen. Und das
Botschaftsasyl muss wieder möglich werden. Das erlaubt es den Betroffenen,
rasch und sicher auf normalen Reiserouten nach Europa zu kommen und die
heutigen unwürdigen Zustände zu vermeiden.
4.
Lebensbedingungen
in den Zwischenetappen verbessern! Viele Flüchtlinge kommen aus
Zwischenstationen. Die Zahlen und Fakten dazu von Amnesty
International sind erschreckend. So befinden sich 95% der
syrischen Flüchtlinge – rund 4 Mio Menschen in den Nachbarländern Jordanien,
Libanon, Türkei, Irak und Ägypten. Zum grössten Teil in erbärmlichen
Verhältnissen mit etwa 50 Cents pro Tag zu Essen. In anderen Quellregionen ist
die Situation ähnlich. Wen wundert’s, dass diese Menschen eines Tages
beschliessen, weiter zu reisen und Europa zu erreichen – notfalls unter Einsatz
ihres Lebens. Diesen Menschen muss dringendst geholfen werden, schon aus
humanitären Gründen. Dazu gehört nicht nur Essen und Wohnen sondern auch
Bildung für die Kinder und ein funktionierendes Gesundheitswesen. Und als
Nebeneffekt wird es dazu führen, dass die meisten in ihren Heimatregionen
bleiben und auf eine Besserung der Situation im Herkunftsland warten.
5.
Ursprüngliche
Ursachen beseitigen helfen. Menschen kommen zu uns, weil
sie aus kriegerischen Konflikten und Verfolgung und/oder aus Hunger und Armut
fliehen. (Rund 800 Mio Menschen leiden an Hunger und etwa 9 Mio Menschen ,
davon 3 Mio Kinder, verhungern jedes Jahr. Quelle:
Der Spiegel). Oft gehen Krieg, Armut und Hunger Hand in
Hand. Wollen wir die Flüchtlingsmigration «in den Griff kriegen» müssen wir bei
diesen Ursachen anknüpfen. Das heisst endlich ein Waffenexport-Verbot, das
wirkt. Endlich eine klare kriegerische Akte von allen Seiten, inkl. Russland,
USA, Frankreich und Deutschland verurteilen. Endlich Wirtschaftsprozesse,
Schutzzölle, Ausbeutung und Nahrungsmittel-Spekulation wirksam bekämpfen. Und
endlich eine Entwicklungsstrategie, die wirksam ist und zum Aufbau einer
nachhaltigen Wirtschaft führt (müssen wir bei den Chinesen lernen, wie das
geht?). Und selbstverständlich weiterhin
Friedensprozesse fördern auf internationaler Ebene.
6.
Zusammenleben,
nicht Anpassung. Aber vom ersten Tag an! Und bei uns brauchen
wir eine Integrationsstrategie, welche nicht als reine Anpassungsforderung
daher kommt, sondern als wirksamer Austausch zwischen den Kulturen konzipiert
ist. Das heisst nicht, dass man nach Belieben jene Verhaltensregeln und
Grundsätze missachten kann, die in Verfassung und Gesetz verankert ist (Das
gilt eigentlich auch für bürgerliche Politiker, beispielsweise Art. 113.2a der
Bundesverfassung: «Die berufliche Vorsorge ermöglicht
zusammen mit der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung die
Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise.») Aber es heisst, dass wir
Strategien entwickeln müssen, welche Kommunikation und Zusammenleben
ermöglichen und die gegenseitige Bereicherung – und nicht Abschottung -
sicherstellen Das geht nur, wenn wir die beiden Pfeiler der Integration,
Sprache und Erwerbsarbeit, vom ersten Tag an fördern. Das heutige faktische
Erwerbsverbot während des Asylverfahrens muss aufgehoben werden.
Wir
müssen auch politisch positive Signale zur Migration aussenden. Und
schliesslich nicht nur die Flüchtlinge (aus)bilden sondern auch die
Einheimischen: Flüchtlings- und Migrationsgründe in der Schule und der
Weiterbildung thematisieren.
7.
Im
Innern auch Angstursachen bekämpfen! Das ist ein Thema für sich. Mindestlöhne,
Infrastruktur-Ausbau, Ausbau
Tertiärbildung, sinnvolle Wohnungspolitik,
etc. sind die Stichworte, welche die schlimmsten Folgen der kapitalistischen
Wirtschaft und der neoliberalen Gesellschaftsorganisation eindämmen sollen. Aber
das ist ein ganzes anderes politisches Programm.
[Der 7-Punkte-Plan wurde von der SP des Kantons Freiburg im
Oktober 2016 in leicht modifizierter Form als Resolution verabschiedet]
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