Eine
fast wahre Geschichte von Heinz Gilomen
In den letzten Jahrzehnten hat in unserem
Land die Zahl der Menschen mit grossen Schuhnummern beträchtlich zugenommen.
Das führt zu Problemen wie Dichtestress und übermässiger Nachfrage nach
Wohnraum. Auch die Kriminalität muss effektiver bekämpft werden. Jetzt will
eine Initiative Abhilfe schaffen.
Die Grosse Volkspartei (GVP) nimmt sich
seit Jahren der Problematik an und will die schädlichsten Auswirkungen mit
zahlreichen Volksinitiativen eindämmen. Mit der sogenannten
Schnürsenkel-Initiative (auch Lacette-Initiative) erzielte sie einen ersten
Erfolg. Dabei ging es um ein Verbot von farbigen Schnürsenkeln, deren teils
leuchtende Farben als arrogantes Symbol einer Kultur interpretiert wurde,
welches den schweizerischen Grundwerten diametral zuwiderläuft; schliesslich
haben die tapferen Eidgenossen beim Rütlischwur und bei Morgarten auch keine
farbigen Schnürsenkel getragen. Es folgte die Masseneinfuhr-Initiative, welche
Kontingente bei der Einfuhr von grossen Schuhnummern verlangte. Dies gefährdet
zwar die Abkommen mit der EU (die Bilateralen), das ist aber der GVP trotz
gegenteiliger Aussagen im Vorfeld der Abstimmung völlig egal. Im Gegenteil. Und
die Kriminalität wurde mit der Einziehungs-Initiative bekämpft, welche die
automatische Beschlagnahmung der Schuhe bei Delinquenten mit grossen
Schuhnummern verlangte.
Die anderen Parteien waren jeweils nicht
erfreut über die Erfolge der GVP. Für die Mitte-Rechts-Parteien schossen
jeweils die Vorstösse übers Ziel hinaus, aber «man muss halt die Sorgen der
Bevölkerung schon ernst nehmen». Die Linksparteien zogen es vor, sich still zu
verhalten, «um das Thema nicht noch anzuheizen». Und so kommt nun die nächste
Initiative, die Durchsetzungs-Initiative zur Einziehungs-Initiative. Sie listet
nun alle Delikte detailliert auf, bei denen die Schuhe bei grossen Schuhnummern
automatisch eingezogen werden sollen. Darunter sind auch Delikte wie Raufhändel
oder Verstösse gegen Bestimmungen bei der Sozialhilfe. Was fehlt, ist etwa der
Steuerbetrug, der auch bei grossen Schuhnummern nicht betroffen sein soll (wir
haben das früher Klassenjustiz genannt). Im Wiederholungsfalle sollen auch noch
die Strümpfe eingezogen werden. Das widerspricht zwar den Menschenrechten. Aber
die GVP hat vorgesorgt: Das Bundesgericht soll als letzte schweizerische
Rekursinstanz abgeschafft werden und internationale Vereinbarungen – z.B. die
Menschenrechtskonvention – sollen gemäss Initiative ihre Gültigkeit verlieren.
Zwar meinen auch hier zahlreiche Experten, diese Initiative sei rechtsstattlich bedenklich. Doch nach den Ereignissen von Köln (sogenannte Grossfüssler belästigten Frauen massiv) legt die Sonntagszeitung flugs Quotenberechnungen vor, die eine vielfach höhere Kriminalität beispielweise der Schuhnummern 44 als der Schuhnummern 30 belegen sollen. Und ein bekannter Biertisch-Kriminologe meint, der Anteil der höheren Schuhnummern an kriminellen Delikten sei «schon sehr bedeutend». Auch Sozial- und Ethno- Podologen weisen darauf hin, dass mit grossen Schuhnummern vielfach ein Macho-Männlichkeitsbild verbunden sei und die Träger auch von ihrer Herkunft her kulturelle Werte verfolgen, welche deliktisches Handeln unter Umständen begünstigen. Sie regen an, beim Kauf von Schuhnummern ab 42 jeweils ein Faltblatt abzugeben, auf dem klargemacht wird, dass die üblichen Gesetze auch für Grossfüssler gelten.
Zwar
gibt auch Einwände besonnener Personen, etwa, dass generell auch die grösseren
Schuhnummern mit Kriminalität nichts am Hut haben und über 99% strafrechtlich
nicht auffällig werden. Oder dass Schuhnummern 30 wohl eher für Kinder mit
wenig deliktischer Energie geeignet seien, und dass in keiner Grossfuss-Kultur etwa
Mord, Diebstahl oder Vergewaltigung geduldet oder gar begünstigt würden. Aber
zu leise und zu spät. Die Abstimmungszeitung war bereits gedruckt. Und der
Übervater der GVP, der als Milliardär gerne Anker-Bildli sammelt und sich
gelegentlich eine Volksabstimmung kauft, meint: «Gerichte gehören sowieso
abgeschafft; sie verfälschen nur den Volkswillen. Und in Streitfällen steht das
Generalsekretariat der GVP zur Verfügung, um ein Urteil zu fällen. Das ist
schneller und billiger als die heutige von der Classe politique erfundene
Lösung.» Nur eine andere grosse Wochenend-Zeitung meint, dass die Vernunft noch
eine Chance habe und eventuell ein Wunder geschehe.
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Natürlich
ist diese Geschichte von A bis Z erfunden, auch wenn Ähnlichkeiten mit real
ablaufenden Politik-Prozessen durchaus gewollt sind. Aber das Bundesamt für
Statistik würde nie die Schuhgrösse von Personen erheben, ganz einfach, weil
das gesellschaftlich nicht von Bedeutung ist. So wie etwa die Haarfarbe oder
die Stellung der Ohren. Und aus denselben Gründen würden ja auch die
Polizeibehörden die Schuhgrösse nicht in die Kriminalstatistik aufnehmen und
die Medien würden sie kaum in ihren Meldungen bei Unfällen und Verbrechen
erwähnen.
Bleibt
die Frage: Warum um Himmels willen wird denn die Nationalität erhoben,
aufgeführt, erwähnt, die in vielen Fällen ja ebenfalls völlig irrelevant ist?
Hier im Falle der Kriminalität die Fakten gemäss der Polizeilichen Kriminalstatistik:Im
Jahre 2014 wurden in der Schweiz 79'069 Personen auf Grund des Strafgesetzbuches angezeigt, davon 37'487 SchweizerInnen und 23’604 in der
Schweiz wohnhafte AusländerInnen. Zudem wurden noch 17'978 nicht wohnhafte
AusländerInnen einer Straftat beschuldigt. Diese sind allerdings in unserem
Zusammenhang nicht besonders interessant, da es ja logisch etwas grotesk ist,
jemanden ausschaffen zu wollen, der gar nicht bleiben will. (Es ist ja auch
etwas schwierig, jemanden aus einem Restaurant zu werfen, der gar nicht drin
sitzt.)
Wenn wir das nun in Bezug zur gesamten Wohnbevölkerung setzen, so sind
sowohl bei der schweizerischen als auch bei der ausländischen Wohnbevölkerung
je rund 1% straffällig geworden; die Unterschiede bewegen sich im Promillebereich.
Anders formuliert: Rund 99% sind strafrechtlich nicht auffällig, weder bei der
schweizerischen noch bei der ausländischen Wohnbevölkerung. Kriminalität ist
offensichtlich ein seltenes Ereignis. Kein Wunder, meint auch die
schweizerische Kriminalprävention (2013) «Die Schweiz gehört … weiterhin
zu den sichersten Ländern der Welt, lassen Sie sich nicht von den teils
erschreckenden Medienberichten verunsichern, die uns glauben machen,
Kriminalität beherrsche den Alltag.». In der Tat ist das
Risiko, bei einem Unfall in der Freizeit oder im Haushalt verletzt zu werden,
etwa 150-mal grösser, als Opfer eines Raubes oder Entreiss-Diebstahls zu
werden.
Straffälligkeit als seltenes Ereignis und kaum Unterschiede
zwischen der schweizerischen und ausländischen Wohnbevölkerung – da braucht es
schon eine abenteuerliche Interpretationsphantasie, um kulturelle, religiöse
oder nationale Wurzeln von Kriminalität feststellen zu wollen. Um das an einem
Beispiel zu erläutern: Auch unter der Politprominenz gibt es hie und da einen
Fall strafrechtlicher Verwicklung. Und kein Mensch käme auf die Idee, die
Kultur oder Ideologie einzelner Parteien als kriminogen zu verdächtigen oder
zukünftig gar zu verlangen, die Parteizugehörigkeit von Übeltätern sei
systematisch zu erfassen, «um endlich transparent und offen über diese Probleme
zu diskutieren».
Der
forensische Psychologe Jérôme
Endrass weist darauf
hin, dass kriminelles Verhalten durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt sei
und vor allem persönliche Dispositionen eine wichtige Rolle spielen. Die
eindimensionale Ursachenforschung bei kulturellen oder religiösen Faktoren
seien deshalb nicht zielführend. Wie recht er hat!
Aber hat
die Vernunft am 28. Februar tatsächlich eine Chance?
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