MANIFEST DER UNNÜTZEN ALTEN

24. Dezember 2020

Anständige Renten – Realpolitik pur!

 Heinz Gilomen


0.     Ausgangslage

Vorsorge mit Problemen. Das Vorsorgesystem in der Schweiz steht vor Problemen – um nicht von «Krise» zu sprechen. In der AHV habe die Buchhalter das Zepter übernommen und versuchen, mit Mikro-Korrekturen die demographisch bedingten schrägen Finanzen ins Lot zu bringen. Die zweite Säule gleicht einem Casino, der Börsen-Spielplatz funktioniert nicht mehr wie erhofft, die Renten sind im Sinkflug, und auch hier sät die demographische Entwicklung Panik. Und wer verfassungskonform anständige Renten fordert, wird als realitätsfremder Träumer etikettiert (im besten Fall) oder als verbohrter Marxist beschimpft.

Realpolitik gefragt. Es ist deshalb an der Zeit, ein Vorsorgemodell zu entwickeln, das den Anforderungen der Realpolitik genügt, problem- und lösungsorientiert ist, pragmatisch vorgeht und dabei für das Wohlergehen der Wirtschaft sorgt.  Damit soll prioritär eine Antwort auf die wirklichen Probleme und Sorgen der betroffenen Leute – der heutigen und zukünftigen Rentnerinnen und Rentnern – gegeben werden.  

Das folgende Frage- und Antwort-Spiel skizziert dieses Modell:

1.    Was ist eigentlich das Problem? (problemorientiert!)

Armut und Prekarität. Das Hauptproblem in der reichen Schweiz ist nicht die Finanzierung der Vorsorge, sondern die prekäre finanzielle Lage, in der sich eine grosse Zahl von Rentnerinnen und Rentnern befinden. Gemäss dem Bundesamt für Statistik lebt jede 5. Person im Alter von über 65 Jahre in Armut oder ist armutsgefährdet. Das sind immerhin mehr als 300'000 Personen. Und die OECD weist für die Schweiz eine der höchsten Quoten an Altersarmut aus. Altersarmut in der Schweiz – eine Schande!


2.    Ist es auch ein politisches Problem? (politikorientiert!)

Verfassungskonforme Renten! Ja, es ist ein dringliches politisches Problem. Die Bundesverfassung schreibt zur AHV vor: «Die Renten haben den Existenzbedarf angemessen zu decken.». Und zwar finden wir diese Bestimmung nicht etwa in den mehr oder weniger unverbindlichen Sozialzielen, sondern im verpflichtenden Teil in Artikel 112. Mit Sicherheit erfüllt die AHV diese Forderung nicht. Ebenso wenig wie für viele Leute die berufliche Vorsorge, welche nach Artikel 113 die «Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung» ermöglichen sollte.

Regierung und Parlament wären deshalb verpflichtet, ein Vorsorgesystem zu realisieren, welches den Verfassungsauftrag erfüllt. Oder anders formuliert, Bundesrat und eidgenössische Räte verhalten sich krass verfassungswidrig. Und das ist der eigentliche Skandal – dass dieser Zustand offensichtlich von den politischen Akteuren einfach akzeptiert wird.  

3.    Ist es schwierig, das Problem zu lösen? (lösungsorientiert!)

Renten rauf! Nein, im Gegenteil. Im Vergleich zu komplexeren Problemfeldern wie etwa dem Klimawandel oder dem Gesundheitssystem, wo viele Faktoren in gegenseitiger Abhängigkeit ineinandergreifen, ist die Problemlösung bei der Vorsorge sehr einfach. Wir müssen einfach die Renten auf ein anständiges Niveau heben, das es den Leuten erlaubt, auch im Alter in Würde zu leben.

4.    Wir hoch ist denn so eine «anständige Rente»? (pragmatisch!)

Ergänzungsleistungen als Bezugspunkt. Da hilft uns wieder die Bundesverfassung. Sie beauftragt Bund und Kantone, jenen Personen Ergänzungsleistungen auszurichten, «deren Existenzbedarf durch die AHV nicht gedeckt ist». Und das Bundesamt für Sozialversicherungen meint: «Reichen die Einnahmen nicht aus, um die Grundbedürfnisse zu decken, übernehmen die EL die Differenz». (Das sollte zwar gemäss Artikel 112 der Bundesverfassung nicht passieren, aber trotz «Tschudi-Tempo» in den 60er Jahren sind wir halt noch nicht soweit.)

Wenn also der Existenzbedarf notfalls durch die Ergänzungsleistungen gedeckt wird, so können wir die Leistungshöhe der EL als groben Orientierungspunkt für die Höhe einer verfassungskonform existenzsichernden AHV-Rente nehmen. In der aktuellen Fassung machen Grundbedarf, Mietzinsbeiträge und Krankenkassenprämien rund 3'500 Franken monatlich aus. Dazu kommen noch Vergütungen von krankheits- und behinderungsbedingten Kosten. 

Als pragmatisch sinnvolle Höhe einer verfassungskonformen AHV-Rente («anständige Rente») könne wir also die Grössenordnung von 4'000.- Franken ins Auge fassen.

5.    Wie soll das finanziert werden? (realistisch!)

Verlagerung von der 2. in die 1. Säule! Ausgangspunkt ist die Lage der zweiten Säule. Ohne in Einzelheiten zu gehen, können wir von eher trüben Aussichten sprechen. So meint etwa ein Anlagespezialist in der Zeitung LeTemps, in den nächsten 5 Jahren würden die Renten von AHV und 2. Säule auf etwa 45% des letzten Lohnes sinken. Dabei werden doch im Durchschnitt 12.5% des Lohnes für die zweite Säule abgezogen.

Sinnvollerweise verlagern wir die Beiträge – wenigstens teilweise – von der 2. Säule in die AHV. Das ist effizienter und auch sozial gerechter. Anstatt wie heute 8.7% in die AHV und durchschnittlich 12.5% in die 2. Säule einzubezahlen, sind die Beiträge in die AHV beispielsweise auf 16% rund zu verdoppeln und die Beiträge in die 2. Säule entsprechend zu reduzieren. Die Gesamtbelastung von rund 21% bleibt unverändert. Damit werden die Einnahmen der AHV beträchtlich gesteigert, da ja gleichzeitig der Bundesanteil bei 20% der Ausgaben bleibt.

6.    Gibt es zusätzliche Finanzierungen? (logisch!)

Gewinne werden AHV-pflichtig! Ja. Als zweite Hauptquelle für die Finanzierung bieten sich die unternehmerischen Gewinnausschüttungen an, die AHV-pflichtig werden sollen. Unternehmen generieren sowohl Arbeitseinkommen in der Form von Löhnen als auch Kapitaleinkommen in der Form von Gewinnausschüttungen. Es deshalb nur logisch, dass beide Einkommensarten gleich an die Finanzierung eines wirksamen Vorsorgesystems beitragen. Sie sind ja auch teilweise austauschbar.  

Gemäss der Statistik der Eidg. Steuerverwaltung belief sich die Summe steuerbarer Gewinne im Jahr 2016 auf rund 390 Milliarden Franken. Mit der Beitragspflicht verbessern sich somit die AHV-Finanzen ebenfalls beträchtlich. Gleichzeitig sollen auch die bisherigen sekundären Finanzierungsquellen beibehalten werden, etwa der Bundesbeitrag oder das sogenannte Mehrwertsteuer-Prozent für die AHV.

7.    Wie stark werden Arbeitgebende und Arbeitnehmende damit belastet? 
(unternehmensfreundlich!)

Es gibt keine Mehrbelastung. Dies im Gegensatz zum bundesrätlichen Vorschlag BVG21, der eine Erhöhung der Lohnbeiträge um 0.5% vorsieht. Wie erwähnt, bleibt die Gesamtbelastung durch Lohnabzüge grundsätzlich gleich, sowohl für Arbeitnehmende als auch für Unternehmen. Einzig die kleinen Löhne, die gegenwärtig nicht BVG-pflichtig sind würden durch die höheren AHV-Abgaben etwas höher belastet. Aber hier können Lösungen im Rahmen des Detailkonzeptes gefunden werden. [1]

Auch für die Bevölkerung gibt es keine Mehrbelastung. Dies im Gegensatz zum bundesrätlichen Vorschlag AHV21, bei dem die Mehrwertsteuer um 0.7% erhöht und damit die kleinen Einkommen zusätzlich belastet würden. 

8.    Geht dabei die Wirtschaft generell zugrunde? (wirtschaftsfreundlich!)

Kaufkraft stärken! Soziale Massnahmen werden häufig bekämpft, weil sie angeblich schädlich für die Wirtschaft sind. Hier ist das Gegenteil der Fall. Ohne dass die Wirtschaft stärker belastet wird (siehe Punkt 7), werden kleine Einkommen erhöht und damit die Kaufkraft dort gestärkt, wo sie direkt in wirtschaftliche Nachfrage umgesetzt wird. In Coronazeiten eine hoch willkommene ökonomische Unterstützung.

9.    Wie lange geht es, bis so etwas realisiert werden kann? (zeitgerecht!)

Rasche Umsetzung! Das kann sehr rasch gehen. Wenn einmal der politische Entscheid gefällt ist, kann das praktisch unmittelbar umgesetzt werden. Es gibt ja nichts «anzusparen» wie bei der 2. Säule. Im Umlageverfahren der AHV können die höheren Renten ausbezahlt werden, sobald die Beiträge hereinkommen. Und da das bisher kumulierte BVG-Guthaben nicht angetastet werden soll, braucht es auch keine komplizierten Übergangsmechanismen.  

10. Ist das in den aktuellen politischen Verhältnissen realisierbar? 
(realpolitisch!)

Realpolitisch machbar! Natürlich gibt es immer wieder politische Kreise, für die Politik vor allem Sozialabbau bedeutet. Deren Einfluss kann man mit guten Visionen und Projekten spätestens bei den nächsten Wahlen zurückbinden. Aber ein funktionierendes Vorsorgesystem, das gleichzeitig auch noch wirtschaftsfreundlich ist und Lösungsbeiträge für allgemeine gesellschaftliche Probleme bereitstellt, dürfte auch bis weit in die Mitte auf Zustimmung stossen.
 

FAZIT

Mit dem realpolitischen Modell werden verschiedene gesellschaftliche Probleme gelöst oder in ihrer Bedeutung reduziert:

a.     Armut und Prekarität im Alter verschwinden weitgehend und auf relativ einfache Weise.

b.     Die ökonomische Situation von Personen (vor allem Frauen), die im aktiven Leben vorwiegend unbezahlte (Care-) Arbeit leisten oder in Niedriglohnbereichen tätig sind, wird wenigstens im Rentenalter klar verbessert.  

c.     Die Milliardenbeträge, die jährlich der Realwirtschaft durch die 2. Säule entzogen werden, gehen zurück, stärken die Kaufkraft der kleinen Einkommen sowie die Nachfrage und beleben so die Ökonomie.

d.     Das Vorsorgesystem wird für alle Bürgerinnen und Bürger wieder verständlich und weitgehend berechenbar. Das Vertrauen in die Politik steigt auch bei den jüngeren Generationen.

[1] So könnten beispielsweise kleine Löhne beim bisherigen AHV-Satz bleiben. Damit würde das geltende System, wo alle prozentual gleichviel einzahlen, höhere Einkommen aber schliesslich bis doppelt so hohe Renten erhalten, umgekehrt: Hohe Saläre würden auch prozentual etwas mehr bezahlen, alle würden aber die gleiche AHV-Rente erhalten. Damit würde der soziale Aspekt der AHV noch etwas akzentuiert.  

20. September 2020

Auch Renten gefährdet!! Lehnen wir die Kündigungsinitiative der SVP klar ab!

Heinz Gilomen

 [Dieser Text wurde mit leichten Modifikationen am 7. September 2020 auch im eSPress veröffentlicht]


Die Kündigungsinitiative der SVP gefährdet nicht nur Löhne und Arbeitsplätze, sie bringt auch die Altersrenten sowie den Gesundheits- und Pflegebereich in Gefahr. Die SP60+ empfiehlt deshalb ihre klare Ablehnung.


Der Schweiz geht es gut. Warum? Im Blog des Schweizerischen Wissenschaftsrates meint Susan M. Gasser: «Es ist ihre Offenheit … Für ein Land im Herzen Europas – ein Land fast ohne natürliche Ressourcen – gibt es keinen anderen Weg, um zu überleben, geschweige denn, um zu gedeihen. Und gerade durch ihre Offenheit hat die Schweiz ihre schweizerischen Eigenheiten gefestigt.»

Die SVP will nun mit ihrer Kündigungsinitiative – sie nennt sie verharmlosend «Begrenzungsinitiative» – diese ureigensten schweizerischen Trümpfe abschwächen, bzw. sabotieren. Dies ist jedoch nicht nur für unsere Wirtschaft gefährlich, sondern auch für unser Zusammenleben, für unser Gesundheitssystem, für unsere Renten. Wir lassen uns aber nicht abschotten und einsperren!


Renten in Gefahr!

Die Initiative gefährdet die wichtigste Säule der Altersvorsorge – die AHV. Gegenwärtig finanzieren ausländische Arbeitnehmende fast einen Drittel der Lohnbeiträge. Sie beziehen jedoch nur rund 18% der AHV-Rentenleistungen. >>>Link. Dies liegt vor allem an ihrer kürzeren Beitragszeit. Es beziehen nur 7% von ihnen eine Vollrente. Ausländische Staatsangehörige insbesondere aus den EU/EFTA-Staaten tragen somit massgeblich zur sicheren Finanzierung der AHV bei. Wer die Migration behindert, bringt die AHV-Finanzen in Gefahr.


Gute Pflege wird aufs Spiel gesetzt!

Aktuell wird der Personalbedarf im Pflegebereich nur zu rund 50% durch schweizerische Ausbildungen gedeckt. Deshalb brauchen wir Immigration, um für eine gute Pflege in Spitälern sowie in Alters- und Pflegeheimen zu sorgen. Im Höhepunkt der Coronakrise wäre das Gesundheitssystem zusammengebrochen, wenn die Nachbarländer ihre Grenzen für ausreisendes Pflegepersonal geschlossen hätten. Mit der demografischen Alterung benötigen wir in Zukunft noch mehr Pflegekräfte. >>>Link.  Weisen wir also diesen Sabotage-Versuch zurück!


Löhne kommen unter Druck!

Im Moment ist bei den Löhnen die Schweiz im internationalen Vergleich recht gut aufgestellt. Dabei spielen die flankierenden Massnahmen eine besondere Rolle. Sie bestimmen, dass auch ausländische Arbeitskräfte nach den in der Schweiz üblichen Arbeitsbedingungen entlöhnt werden und haben dadurch trotz Immigration Lohndumping verhindert.

Bei der Kündigung der Personenfreizügigkeit würde dieser Lohnschutz aufgehoben und die Löhne auch der schweizerischen Arbeitnehmenden kämen unter Druck. Genau das will die SVP: «Nach Annahme der Initiative müssen die flankierenden Massnahmen rückgängig gemacht werden» sagt der Fraktionschef Thomas Aeschi. Da sagen wir Nein danke, wir brauchen kein Lohndumping! 


Riskantes Spiel für (ältere) Arbeitnehmende!

Die bilateralen Abkommen mit der EU sorgen für geregelte Beziehungen und für Erleichterungen beim wirtschaftlichen Austausch. Auf Grund von Corona erleben wir gerade einen dramatischen Einbruch der schweizerischen Wirtschaft. In dieser Situation die engen Beziehungen mit dem wichtigsten Handelspartner aufs Spiel zu setzen, ist grobfahrlässig. Für viele Arbeitsplätze in krisengeschüttelten Branchen bedeutet das sogar den Todesstoss. Krisenhafte Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt – da bezahlen immer die Arbeitnehmenden die Rechnung. Und für die 50plus fällt sie oft gesalzen aus!

Also: Ein wuchtiges NEIN zur SVP- Kündigungsinitiative!