MANIFEST DER UNNÜTZEN ALTEN

25. August 2014

Tante-Emma-Aufsicht bei den Krankenkassen

Die obligatorische Krankenversicherung ist ein Markt von über 25 Milliarden Franken, welcher von den Prämienzahlern finanziert wird. Die öffentliche Aufsicht über dieses gesellschaftlich bedeutende Werk entspricht jedoch einem Tante-Emma-Laden. Der Bundesrat hat dies erkannt. Die Krankenkassen-Lobby verzögert und verwässert jedoch die entsprechende Gesetzgebung seit Jahren. Da hilft nur noch die Öffentliche Krankenkasse, welche am 28. September zur Abstimmung kommt.

Die obligatorische Krankenversicherung ist eine zentrale soziale Errungenschaft nicht nur für die ältere Bevölkerung, sondern für alle Menschen. Institutionell hat sie zu einer unübersichtlichen Vielzahl von Versicherern geführt, welche - privat organisiert - am gewaltigen Markt teilhaben. Natürlich erwarten wir, dass diese Kassenvielfalt nach modernen Grundsätzen geführt und durch eine effiziente Aufsicht kontrolliert wird. Nur so können wir vertrauen, dass unsere Prämien zielgerichtet und wirksam verwendet werden.

Dieses Vertrauen ist jedoch nicht gerechtfertigt. Offensichtlich entsprechen Kontrolle und Aufsicht des Riesenmarktes denjenigen eines Tante-Emma-Ladens. Dem Bund fehlen schlicht die Instrumente, um wirksam handeln und notfalls eingreifen zu können. Folgen davon sind etwa die zu viel bezahlten Prämien und die mühsame Suche nach Lösungen, um diese zurück zu bezahlen. Der Bundesrat hat deshalb bereits 2012 ein Gesetz vorgeschlagen, das Abhilfe schaffen soll. Doch offensichtlich passt der chaotische Zustand den Krankenkassen. Ihre Lobby verhindert im Parlament erfolgreich seit Jahren ein griffiges Aufsichtsgesetz*.

Die marktwirtschaftliche Organisation des Krankenkassenwesens ist zweifellos ein interessantes Experiment. Wir nehmen heute zur Kenntnis, dass es gescheitert ist. Zum Glück steht am 28. September mit der Öffentlichen Krankenkasse eine Alternative zur Verfügung, welche eine transparente und effiziente Verwendung unserer Prämien sicherstellt. Die wirksame Kontrolle und Aufsicht wird dabei mitgeliefert.

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*Der oben stehende Text wurde im Juni 2014 verfasst. Inzwischen hat die zuständige nationalrätliche Kommission – wohl unter dem Druck der Initiative für eine öffentliche Krankenkasse – die Vorlage doch noch bereinigt und dabei einige substantielle Zugeständnisse gemacht. Abzuwarten bleiben allerdings die Entscheide des Parlaments in der Septembersession 2014.

23. August 2014

Gesundheitskonzepte statt Profitorientierung

[Dieser Text ist im eSPress vom 22. August 2014 erschienen]

Die lästige Telefonwerbung der Krankenkassen ist Ausdruck der Jagd nach guten Risiken. Darunter wird nicht die Generation 60+ verstanden, welche vielmehr als Kostenfaktor vermeintlich die Profite schmälert. Nötig sind jedoch wirksame Konzepte der Gesundheitsförderung und nicht Pseudo-Wettbewerb.

Ring-ring!! „Hier wirbt die beste Krankenkasse“.  So tönt es regelmässig, wenn man den Hörer abnimmt – trotz Sternchen hinter der Telefonnummer. Es ist die Konsequenz des Pseudo-Wettbewerbs, den die Krankenkassen veranstalten und der sie zur Jagd nach guten Risiken veranlasst. Damit sind allerdings nicht wir, die Generation 60+ gemeint. Wir gelten ja in erster Linie als Kostenfaktor, der am liebsten abgeschoben wird. Auch wenn ja nicht das Älterwerden teuer ist, sondern das Sterben.  Zwar sterben mehr alte Menschen als Junge, aber wenn Junge sterben, sind sie vorher auch teuer.
Dieser kostentreibende Wettbewerb entspricht nicht unseren Vorstellungen eines wirksamen und solidarischen Sozialwerkes. Was wir brauchen ist eine Krankenkasse, die als starker Partner in der Gesundheitspolitik unsere Interessen vertritt und – etwa nach dem Vorbild der SUVA – intelligente Konzepte zur Qualität der Gesundheitsversorgung  entwickelt. Das geht von der Gesundheitserhaltung über die Langzeitpflege bis zur Betreuung der Chronischkranken.
Die marktwirtschaftliche Organisation des Krankenkassenwesens ist zweifellos ein interessantes Experiment. Wir nehmen heute zur Kenntnis, dass es gescheitert ist. Gewinnorientierung und Konkurrenz führen weder zu Qualität noch zu wirksamem Kostenmanagement. Zum Glück steht am 28. September mit der Öffentlichen Krankenkasse eine Alternative zur Verfügung.

22. August 2014

Für die Alten nur noch Schlagzeug!

[Dieser Text ist auch im Seniorweb am 22. August 2014 erschienen]

AHV/IV beteiligen sich an der Anschaffung von Hörgeräten. Allerdings werden dabei die Rentner diskriminiert. Für sie sind offensichtlich Hilfsmittel auf dem Niveau von Hörrohren gut genug.

Kennen Sie Patricia Kopatchinskaja? Die in Bern wohnhafte Violinistin spielt Musik nicht nur, sie lebt sie. Und wenn sie über Musik spricht, spricht sie von Emotionen, von Mystik, von Geschichten und Farben. Ihr zuzuhören ist ein reines Vergnügen, ob sie nun Hayden, Bartok oder Prokofjew interpretiert oder Komponisten der Neuen Musik wie Scelsi oder Ligeti vorstellt. Bei Musik, vor allem bei Orchestermusik stelle ich mir vor, wie sich die einzelnen Töne verschiedener Musikinstrumente eines Orchesters via unser Gehör zu eigentlichen Klangskulpturen zusammensetzen und uns in allen Feinheiten das sinnliche Erlebnis des Musikhörens ermöglichen. Das ist nicht auf die sogenannt klassische oder E-Musik beschränkt, wie etwa dieses Beispiel zeigt:  http://concert.arte.tv/de/wacken-apocalyptica

Hörgeräte für die Beteiligung am sozialen Leben. Allerdings lässt die Fähigkeit des Gehörs bei Vielen mit zunehmendem Alter etwas nach. Es wird schwieriger, die Finessen einzelner Tonfolgen zu erkennen, oder im Rahmen der Orchestermusik einzelne Instrumentensoli zu unterscheiden. Und im Alltag haben viele ältere Menschen Mühe, sich etwa am Gespräch in einer Gruppe zu beteiligen, insbesondere wenn sie in einer geräuschvollen Umgebung erfolgt. Rückzug und soziale Isolation sind nicht selten die Konsequenz.
Aber zum Glück gibt’s ja Hörgeräte. Die haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht, sowohl in technologischer als auch in ästhetischer Hinsicht. Es ist jetzt auch möglich, dass Menschen mit Hörbehinderungen sich an Gesprächen beteiligen oder Musik geniessen können, aber auch in der Lage sind, sich zu orientieren und etwa zu erkennen, aus welcher Richtung ein Auto kommt.

Einsparungen auf dem Buckel der kleinen Einkommen. Allerdings ist der Zugang zu solchen Hilfsmitteln nicht für alle gleich einfach. Gute Hörgeräte, die auf komplexe Beeinträchtigungen abgestimmt sind, kosten bald einmal mehrere tausend Franken. So ist es auf den ersten Blick sehr willkommen, dass die IV bzw. die AHV einen Kostenanteil übernehmen.
Gemäss dem Tagesanzeiger vom 4. August 2014 gibt es grundsätzlich für Hörgeräte einen Pauschalbetrag. So bezahlt die IV für Erwerbstätige CHF 840 für ein Gerät, bzw. CHF 1650, falls zwei Geräte benötigt werden. Die AHV, welche für die Rentner zuständig ist, bezahlt nur für ein Gerät und zwar nur CHF 630. Die Beträge reichen natürlich überhaupt nicht für die Anschaffung eines geeigneten Gerätes. Gemäss einer Evaluationsstudie des IGES Institutes müssen denn auch praktisch alle Hörgeräte-Käufer Zuzahlungen leisten. Bei mehr als der Hälfte betrug diese Eigenleistung über CHF 3‘000.


Was dies zum Beispiel für die 35% der alleinstehenden Rentnerinnen und Rentner bedeutet, deren monatliches Einkommen weniger als CHF 2‘500 beträgt, kann man sich vorstellen. Dafür wurden bei AHV/IV  rund CHF 30 Mio eingespart.

Diskriminierung der Rentner. Wir gesagt, erhalten Hörgeschädigte im Rentenalter tiefere Beiträge und nur für ein Hörgerät. Das ist nun völlig unverständlich. Gemäss Tagesanzeiger  begründet  das Bundesamt für Sozialversicherungen diese Benachteiligung damit, dass es einfacher sei, älteren Menschen den Kontakt mit der Umwelt zu ermöglichen, als die Erwerbstätigkeit (durch die IV-Beiträge) wieder herzustellen. High-Tech-Stereo also, um an Sitzungen die Anweisungen de Chefs genau zu verstehen – Hörrohr Niveau im Mono-Sound für die Diskussionsrunde mit pensionierten Kollegen im Restaurant. Dabei geht es doch bei Jung und Alt um eine präzise Kommunikation mit der Umwelt und um die Sicherheit in heiklen Verkehrssituationen. Vom Musikgenuss ganz zu schweigen. Hier sollen die Alten sich wohl mit den Paukenschlägen und der Techno-Musik zufrieden geben!
[Wobei ja auch Schlagzeuger und Perkussionisten faszinierende Musik machen, voller Finessen und Feinheiten. Hören Sie selbst: Pierre Favre.]


11. August 2014

Pflegekosten - Krankenkassen abschaffen?

[Dieser Text ist auch im Seniorweb am 2. August 2014 erschienen]
Der Vorschlag von Avenir Suisse, die Pflegekosten durch ein individuelles obligatorisches Sparkonto zu finanzieren, läuft auf die Abschaffung der Krankenkassen hinaus.
Avenir Suisse, die neoliberale Denkfabrik, hat anfangs Juli eine tolle Idee zur Finanzierung der Pflegekosten im Alter geboren: Alle sollen ab dem 55. Altersjahr monatlich einen Betrag von rund CHF 300.- auf ein Sperrkonto einzahlen, mit dem die zukünftigen Pflege- und Betreuungskosten finanziert werden. So sollen etwa CHF 135‘000 zusammenkommen. Wer das angesparte Kapital nicht aufbraucht, kann es vererben. Hier sind ein paar Gedanken zu diesem Vorschlag:
  • Steuersenkung und Abbau von Solidarleistungen. Wie immer geht es Avenir Suisse um den Abbau des Staates sowie um die Auflösung solidarischer Leistungen. Pflege- und Betreuungskosten werden heute von den Krankenkassen bzw. durch den Staat via Ergänzungsleistungen übernommen. Mit dem von Avenir Suisse vorgeschlagenen Finanzierungsmodell wird der Staat entlastet und es können Steuersenkungen – natürlich zugunsten der Wohlhabenden – ins Auge gefasst werden. Dafür werden durch die Individualisierung der Pflegekosten die KleinverdienerInnnen mehr belastet und der Solidaritätsgedanke ausgehöhlt.
  • Für kleine Einkommen unerträglich. CHF 300 monatlich sind für hohe Einkommen ein Klacks und eine willkommene weitere Möglichkeit, Gelder steuerbegünstigt zu parkieren. Für kleine Einkommen ist das ganz einfach nicht machbar. Jede vierte Person im Rentenalter (etwa 350‘000) lebt gemäss BFS mit einem Einkommen von höchstens CHF 2‘500 im Monat, bei alleinstehenden RentnerInnen sind es sogar rund 35%. Bei diesem Betrag noch zusätzlich CHF 300 auf ein Pflegekosten-Konto einzuzahlen, ist wohl kaum realistisch.
  • Auch die Jungen! Es ist nicht einsichtig, warum nur die Alten ihre Pflege- und Betreuungskosten selber bezahlen sollen. Das Alter ist ja sowieso ein schlechter Indikator. Das Sterben ist teuer, nicht das Altwerden (Pro Senectute). Zwar sterben mehr alte Menschen als Junge, aber wenn Junge sterben, sind sie vorher auch teuer. Wer im jüngeren Alter schwer verunfallt oder krank wird, verursacht ebenfalls hohe Kosten. So ist etwa gemäss BFS die mittlere Aufenthaltsdauer in Rehabilitationseinrichtungen bei 15-39-Jährigen um rund 25% höher als bei den über 65-Jährigen. Es ist somit nichts als logisch, wenn auch die Jungen eine individualisierte Vorsorge für hohe finanzielle Belastungen einrichten.
  • Krankenkassen aufheben! Wenn wir diese Logik weiterführen, so muss jede Generation zukünftig ihre eigenen Gesundheitskosten selber tragen, wie das Avenir Suisse bereits 2005 anregte. Das Versichertenkollektiv müsste dann in Alterskohorten aufgeteilt werden, wie Pro Senectute zu Recht monierte. Das wäre wohl nur ein Zwischenschritt zur Auflösung der sozialen Krankenversicherung und der Solidarleistungen. Wer das Pech hat, krank zu werden, soll gefälligst seine Kosten selber tragen, lautet die Schlussfolgerung. Notfalls muss man sich halt mit der minimalsten Versorgung zufrieden geben und Leistungen auch für die Alten rationieren. Die Zweiklassenmedizin lässt grüssen.
  • Wir wollen unsere Einzahlungen zurück! Viele von uns Alten sind ja glücklicherweise relativ gesund durch das Leben gekommen. Und wir haben brav weit mehr in die Krankenversicherungen einbezahlt als wir an Leistungen bezogen haben. Im Sinne der Solidarität zugunsten jener, die nicht dasselbe gesundheitliche Glück gehabt haben. Wenn nun diese solidarischen Spielregeln geändert werden, wollen wir unsere nicht benutzten Prämien zurück! Da kommt wohl einiges zusammen, das nicht mehr allzu weit entfernt ist von den rund CHF 135‘000, die Avenir Suisse berechnet hat.
  • Keine Steuern mehr für Schulen und Universitäten! Nun, wenn die intergenerationelle Solidarität aufgehoben werden soll, wollen wir auch konsequent sein. Kollektive Leistungen, die praktisch ausschliesslich einer spezifischen Generation zugutekommen, sollen von dieser selbst getragen werden. Das betrifft vor allem die Bildungs- und Krippenausgaben der öffentlichen Hand, die sich auf jährlich etwa 40 Milliarden CHF belaufen. Für diese Aufgabe zahlen wir zukünftig keine Steuern mehr und leisten uns ein paar gute Pflege- und Betreuungszeiten.
Natürlich dürfen wir es nicht soweit kommen lassen. Aber Avenir Suisse spielt ja meisterhaft das Spiel der Entsolidarisierung, mit den Schlagworten der Eigenverantwortung und der Marktgerechtigkeit. Einmal mehr werden die Alten als lästiger Kostenfaktor betrachtet, und Solidarität als Ein-Weg-Prinzip. Deshalb müssen wir uns in die öffentliche Diskussion einmischen.