MANIFEST DER UNNÜTZEN ALTEN

21. April 2015

Recht auf Arbeit für 50+

Heinz Gilomen
Ältere Arbeitnehmende werden auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Das müssen wir ändern. Zu fordern ist ein Recht auf Arbeit ab 50+ und eine erweiterte Arbeitslosenversicherung. Finanziert werden soll das durch die Unternehmen, welche unterdurchschnittliche Quoten an älteren Arbeitnehmenden aufweisen.

Bundesrat Johann Schneider-Amman lädt am 27. April 2015 zu einer Nationalen Konferenz „ältere Arbeitnehmende“, ein. Es ist eine sogenannt geschlossene Konferenz, das heisst, es können nur Organisationen daran teilnehmen, die dem Departementschef Wirtschaft, Bildung und Forschung genehm sind. Ziel der Konferenz ist, dass „Arbeitnehmende auch nach Überschreiten des 50sten Altersjahres im Arbeitsmarkt integriert bleiben“, meint der Bundesrat.


Diskriminiert und bestraft. Korrekturen auf dem Arbeitsmarkt sind auch dringend nötig. Aus vorgeschobenen Spargründen oder anderen Vorbehalten werden ältere Arbeitnehmende zum Teil systematisch gemobbt, mit Lohnkürzungen konfrontiert oder direkt auf die Strasse gestellt. Obschon die Wissenschaft die vermeintlich geringere Leistungsfähigkeit Älterer schon längst als reine Vorurteile entlarvt hat (J.Wegge und F. Jungmann 2015), wird weiterhin eben mit dieser Begründung entlassen und rausgestellt. Die Entwicklung der Erwerbsquote, wie sie vom Bundesamt für Statistik und von der OECD dargestellt wird, spricht eine deutliche Sprache:  


Zwischen der Altersgruppe der 40-54 Jährigen und jener der 60-64 Jährigen sinkt die Erwerbsquote dramatisch: gegen 30% der Erwerbstätigen verschwinden aus dem Arbeitsmarkt. Die Betroffenen werden nicht etwa vom Faulenzer-Virus befallen oder haben in der Lotterie gewonnen. Sie landen vielmehr in der Langzeit-Arbeitslosigkeit, in der Invalidität (wo sie als Schein-Invalide beschimpft werden), in der Sozialhilfe (wo sie als Sozialschmarotzer unter Druck kommen) oder in der vorzeitigen Pensionierung. Dabei ist in diesen Zahlen noch nicht einmal die hohe Quote der (prekären) Selbständigen enthalten, die verzweifelt ihre eigene Firma gründen, dabei vielfach ihr erspartes Pensionskassengeld einsetzen und kaum je auf einen wirklich grünen Zweig kommen.

Die wichtigste Konsequenz solcher verfehlter Personalpolitik sind die daraus resultierenden substantiellen Rentenkürzungen. Die weit verbreitete Altersarmut wird unter anderem in dieser Lebensphase vorbereitet. Oder etwas plakativer gesagt: Die Opfer dieser Diskriminierungen belasten nicht nur die andreren Sozialwerke, sondern werden schliesslich auch noch selber bestraft. 


Die Situation ist besonders prekär für Migrantinnen und Migranten, für Frauen sowie für Menschen mit wenig nachobligatorischer Bildung, wobei sich diese Kategorien oft überschneiden. Wie immer sind es die Schwächsten dieser Gesellschaft, die benachteiligt werden. Die eigentlichen Verursacher, die Unternehmen, werden nicht zur Verantwortung gezogen.

Verursacher zur Rechenschaft ziehen. Das müssen wir ändern. Wenn man uns schon ständig mit höherem Rentenalter droht, kehren wir doch einfach den Spiess um und fordern ein Recht auf Arbeit ab 50. Wer gegen seinen Willen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt wird, hat beispielsweise Anrecht auf eine erweiterte Arbeitslosen-Entschädigung während mindestens 5 Jahren. Dabei werden auch die Pensionskassen-Beiträge im bisherigen Umfang weiter einbezahlt. Die älteren Arbeitnehmenden erhalten besondere Unterstützung bei der Stellensuche. Die Finanzierung dieser erweiterten Arbeitslosenversicherung erfolgt durch die Unternehmen, welche unterdurchschnittliche Quoten an älteren Arbeitnehmenden aufweisen. 


Die Vorteile dieses Modells liegen auf der Hand:
  • ·    Es zieht jene Akteure zur Rechenschaft, die für die Situation auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich sind – die Unternehmen – und stoppt die Bestrafung der Opfer.
  •    Es spricht die Sprache, welche die Unternehmen auch verstehen: die ökonomische. Wer ältere Arbeitnehmende diskriminiert, muss bezahlen.
  • ·   Das Modell ist einfach verständlich und praktisch ohne Mehraufwand realisierbar. Abgerechnet wird parallel zur AHV-Abrechnung der Betriebe und die erweiterte Versicherung wird durch die ALV betrieben. Es braucht keine Klagen oder Prozesse, keine Inspektoren und keine Mehr-Bürokratie. 
  • ·      Die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen wird weniger beschränkt als bei anderen Schutzmechanismen. Wird ein älterer Arbeitnehmender als ungeeignet für die Weiterbeschäftigung beurteilt, kann er (oder sie) ohne weiteres entlassen werden. Für die Unternehmen bleibt das ohne Folgen, wenn es erneut eine/n über 50-Jährigen anstellt. Aber auch den Arbeitnehmenden gibt es zusätzliche Freiheiten. Sie können z.B. neue Verträge, durch die sie schlechter gestellt werden, ablehnen, da ihr Arbeitslosenschutz verstärkt wird.
  • ·        Der Arbeitsmarkt für die die älteren Arbeitnehmenden entspannt sich, weil die Unternehmen nun ein Interesse an der Beschäftigung Älterer haben.
  • ·   Der verstärkte Schutz der Arbeitnehmenden funktioniert, ohne dass die öffentlichen Finanzen zusätzlich belastet werden. Im Gegenteil: Die übrigen Sozialwerke, insbesondere die IV und die Sozialhilfe, später auch die ALV werden entlastet.
  • ·  Ein wichtiger Faktor der Altersarmut wird eliminiert, da die mit den Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt verbundenen Rentenkürzungen gestoppt werden.
  • ·  Ältere Arbeitnehmende werden nun auch unterstützt bei der Weiterbildung, da Unternehmen mit der Einführung des Rechts auf Arbeit auch ein Interesse an gut ausgebildeten 50+ Mitarbeitenden haben.

Kurz, das Modell des Rechts auf Arbeit ist einfach, wirksam und zieht die Verantwortlichen zur Rechenschaft. Es muss jetzt nur noch möglichst schnell umgesetzt werden. Herr Bundesrat, Sie sind am Ball!



1. April 2015

Oh Schreck! Die AHV geht pleite. – Oder doch nicht?

Heinz Gilomen

[Dieser Text ist auch im Seniorweb am 1. April 2015 erschienen. Im eSPress   wurde am 2. April 2015 eine etwas gekürzte Version veröffentlicht.  ]
Die AHV-Ausgaben waren 2014 höher als die eingenommenen Beiträge. Sozialabbauer und Katastrophen-Szenaristen sehen darin cool den Anfang vom Ende. Dabei sollte die AHV doch schon längst pleite sein.

Rote oder schwarze Zahlen? Erstmals seit langem schrieb das sogenannte Umlageergebnis der AHV im letzten Jahr wieder rote Zahlen. Das heisst, die Einnahmen aus den Beiträgen waren tiefer als die Ausgaben. Allerdings war das Ergebnis aus dem angelegten Vermögen erneut hervorragend, wurde doch eine Gesamtrendite von 6.7% erzielt. [Vielleicht sollten die Pensionskassen einmal bei der AHV in die Schule gehen. Sie arbeiten ja immer noch mit einem Mindestzinssatz von 1.75% - aber das ist eine andere Geschichte… ]. Mit diesem Anlageergebnis konnte die AHV also einen Gewinn von 1.7 Milliarden erzielen und das Kapital auf rund 45 Milliarden erhöhen.

Natürlich kommt das Umlageergebnis den Sozialabbauern entgegen. Zufälligerweise (?) wurde es ja auch am Tag publiziert, an dem die ständerätliche Sozialkommission das Paket Vorsorge 2020 diskutierte.

Der Arbeitgeberverband nimmt den Steilpass gerne entgegen und fühlt sich in seiner Forderung nach Erhöhung des Rentenalters – jetzt rasch für die Frauen, später dann allgemein via Automatismus – bestätigt und fordert zudem eine schnelle Senkung des Umwandlungssatzes. 

Der verflixte Altersquotient. Der sogenannte Altersquotient ist die Grundlage aller Schreckensszenarien. Man findet ihn auch in der bundesrätlichen Botschaft zur Vorsorge 2020. Er stellt das Verhältnis zwischen der Altersgruppe der über 65-Jährigen („Alte“) zu jener der 20-64-Jährigen („Aktive“) dar. Im Jahre 1900 kam ein Rentner auf 10 Aktive, im Jahre 2000 waren es bereits 2.5 und im Jahre 2030 sollen es vier Rentner auf 10 Aktive sein. 



Nun bestreitet ja niemand ernsthaft, dass die Zahl der älteren Leute zunimmt. Aber mit dem Altersquotienten wird vorgespiegelt, dass die Erwerbstätigen („Aktive“) immer mehr (alte) Personen unterhalten müssten, welche keine wirtschaftlich zählbare Leistung erbringen, sondern gewissermassen nur auf der faulen Haut liegen. Und dass damit die AHV-Finanzen in eine Schieflage gerieten, was auf die Dauer nicht gut gehen könne.
 
Nun weiss allerdings jede Familienmutter, dass nicht die Zusammensetzung der Generationen im Haushalt wichtig ist, sondern die Anzahl Mäuler, die gestopft werden müssen und allenfalls, wie viele davon Geld nach Hause bringen. Also wenn schon demografische Strukturen  und Zahlenverhältnisse wichtig sind, dann halt die Zahl der Erwerbstätigen einerseits und die Zahl der Nichterwerbstätigen andererseits.

Wenn wir das jetzt auf die Schweiz umlegen, dann sieht das so aus:


Offensichtlich macht die Rentnerpopulation nur rund einen Drittel der „zu unterhaltenden“ Nicht-erwerbstätigen aus. Die grosse Mehrheit ist vielmehr im Alter von unter 65 Jahren, es sind Kinder und Jugendliche, junge Erwachsene in Ausbildung, Erwerbslose, Hausmänner und Hausfrauen, die unbezahlter Arbeit nachgehen, etc. Und der Anteil der Nichterwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung ist in den letzten 40 Jahren sogar leicht gesunken, obschon sich die Zahl der über 65 Jährigen etwa verdoppelt hat. Die „Belastung“ der Erwerbstätigen hat somit eher abgenommen. Der Altersquotient scheitert somit bereits an dieser demografischen Frage.

Von Pleitegeier keine Spur. Und bei den Auswirkungen auf die Finanzen ist es noch schlimmer. Obschon die Bevölkerungsgruppe 65+ seit 20 Jahren um 45% gestiegen ist, hat das Kapital der AHV nicht etwa abgenommen, sondern ist von rund 18 Mia im Jahre 1990 auf jetzt rund 45 Mia gestiegen. Seit dem Jahr 2000 waren alle Rechnungsabschlüsse positiv. 


Die Aussagekraft des Altersquotienten tendiert somit gegen Null und es erstaunt nicht, dass die Szenarien, die auf seiner Grundlage erstellt werden, jeweils in die Irre führen. Der Sozialhistoriker Matthieu Leimgruber weist denn auch darauf hin, dass die Szenarien des Bundes bereits 1997 die Pleite für die AHV im Jahre 2010 vorausgesagt haben. In der Realität konnte jedoch in diesem Jahr das Kapital dank des positiven Rechnungsabschlusses um rund 2 Mia auf 44 Mia erhöht werden. Matthieu Leimgruber meint denn auch: « Ce type d’argumentation démographique catastrophiste sert à cadrer la discussion et à présenter les coupes dans les prestations comme inéluctables. »
Altersarmut bekämpfen! Dem ist nicht mehr viel beizufügen. Ausser, dass die Finanzierung der AHV wesentlich über die Löhne erfolgt. Die wirtschaftliche Entwicklung und die Verteilung des erarbeiteten Mehrwertes sind somit die entscheidenden Faktoren, zu denen wir Sorge tragen müssen. Und die im Projekt Altersvorsorge 2020 vorgesehenen zusätzlichen Einnahmen über die Mehrwertsteuer sind sicher auch sinnvoll. Schliesslich gibt es noch ein paar wichtige Probleme zu lösen, wie zum Beispiel die verbreitete Altersarmut. Allerdings könnten wir uns sozialere Varianten der Finanzierung als die Mehrwertsteuer vorstellen, und die erpresserische Verknüpfung z.B. mit dem Frauen-Rentenalter lehnen wir klar ab.