MANIFEST DER UNNÜTZEN ALTEN

1. April 2015

Oh Schreck! Die AHV geht pleite. – Oder doch nicht?

Heinz Gilomen

[Dieser Text ist auch im Seniorweb am 1. April 2015 erschienen. Im eSPress   wurde am 2. April 2015 eine etwas gekürzte Version veröffentlicht.  ]
Die AHV-Ausgaben waren 2014 höher als die eingenommenen Beiträge. Sozialabbauer und Katastrophen-Szenaristen sehen darin cool den Anfang vom Ende. Dabei sollte die AHV doch schon längst pleite sein.

Rote oder schwarze Zahlen? Erstmals seit langem schrieb das sogenannte Umlageergebnis der AHV im letzten Jahr wieder rote Zahlen. Das heisst, die Einnahmen aus den Beiträgen waren tiefer als die Ausgaben. Allerdings war das Ergebnis aus dem angelegten Vermögen erneut hervorragend, wurde doch eine Gesamtrendite von 6.7% erzielt. [Vielleicht sollten die Pensionskassen einmal bei der AHV in die Schule gehen. Sie arbeiten ja immer noch mit einem Mindestzinssatz von 1.75% - aber das ist eine andere Geschichte… ]. Mit diesem Anlageergebnis konnte die AHV also einen Gewinn von 1.7 Milliarden erzielen und das Kapital auf rund 45 Milliarden erhöhen.

Natürlich kommt das Umlageergebnis den Sozialabbauern entgegen. Zufälligerweise (?) wurde es ja auch am Tag publiziert, an dem die ständerätliche Sozialkommission das Paket Vorsorge 2020 diskutierte.

Der Arbeitgeberverband nimmt den Steilpass gerne entgegen und fühlt sich in seiner Forderung nach Erhöhung des Rentenalters – jetzt rasch für die Frauen, später dann allgemein via Automatismus – bestätigt und fordert zudem eine schnelle Senkung des Umwandlungssatzes. 

Der verflixte Altersquotient. Der sogenannte Altersquotient ist die Grundlage aller Schreckensszenarien. Man findet ihn auch in der bundesrätlichen Botschaft zur Vorsorge 2020. Er stellt das Verhältnis zwischen der Altersgruppe der über 65-Jährigen („Alte“) zu jener der 20-64-Jährigen („Aktive“) dar. Im Jahre 1900 kam ein Rentner auf 10 Aktive, im Jahre 2000 waren es bereits 2.5 und im Jahre 2030 sollen es vier Rentner auf 10 Aktive sein. 



Nun bestreitet ja niemand ernsthaft, dass die Zahl der älteren Leute zunimmt. Aber mit dem Altersquotienten wird vorgespiegelt, dass die Erwerbstätigen („Aktive“) immer mehr (alte) Personen unterhalten müssten, welche keine wirtschaftlich zählbare Leistung erbringen, sondern gewissermassen nur auf der faulen Haut liegen. Und dass damit die AHV-Finanzen in eine Schieflage gerieten, was auf die Dauer nicht gut gehen könne.
 
Nun weiss allerdings jede Familienmutter, dass nicht die Zusammensetzung der Generationen im Haushalt wichtig ist, sondern die Anzahl Mäuler, die gestopft werden müssen und allenfalls, wie viele davon Geld nach Hause bringen. Also wenn schon demografische Strukturen  und Zahlenverhältnisse wichtig sind, dann halt die Zahl der Erwerbstätigen einerseits und die Zahl der Nichterwerbstätigen andererseits.

Wenn wir das jetzt auf die Schweiz umlegen, dann sieht das so aus:


Offensichtlich macht die Rentnerpopulation nur rund einen Drittel der „zu unterhaltenden“ Nicht-erwerbstätigen aus. Die grosse Mehrheit ist vielmehr im Alter von unter 65 Jahren, es sind Kinder und Jugendliche, junge Erwachsene in Ausbildung, Erwerbslose, Hausmänner und Hausfrauen, die unbezahlter Arbeit nachgehen, etc. Und der Anteil der Nichterwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung ist in den letzten 40 Jahren sogar leicht gesunken, obschon sich die Zahl der über 65 Jährigen etwa verdoppelt hat. Die „Belastung“ der Erwerbstätigen hat somit eher abgenommen. Der Altersquotient scheitert somit bereits an dieser demografischen Frage.

Von Pleitegeier keine Spur. Und bei den Auswirkungen auf die Finanzen ist es noch schlimmer. Obschon die Bevölkerungsgruppe 65+ seit 20 Jahren um 45% gestiegen ist, hat das Kapital der AHV nicht etwa abgenommen, sondern ist von rund 18 Mia im Jahre 1990 auf jetzt rund 45 Mia gestiegen. Seit dem Jahr 2000 waren alle Rechnungsabschlüsse positiv. 


Die Aussagekraft des Altersquotienten tendiert somit gegen Null und es erstaunt nicht, dass die Szenarien, die auf seiner Grundlage erstellt werden, jeweils in die Irre führen. Der Sozialhistoriker Matthieu Leimgruber weist denn auch darauf hin, dass die Szenarien des Bundes bereits 1997 die Pleite für die AHV im Jahre 2010 vorausgesagt haben. In der Realität konnte jedoch in diesem Jahr das Kapital dank des positiven Rechnungsabschlusses um rund 2 Mia auf 44 Mia erhöht werden. Matthieu Leimgruber meint denn auch: « Ce type d’argumentation démographique catastrophiste sert à cadrer la discussion et à présenter les coupes dans les prestations comme inéluctables. »
Altersarmut bekämpfen! Dem ist nicht mehr viel beizufügen. Ausser, dass die Finanzierung der AHV wesentlich über die Löhne erfolgt. Die wirtschaftliche Entwicklung und die Verteilung des erarbeiteten Mehrwertes sind somit die entscheidenden Faktoren, zu denen wir Sorge tragen müssen. Und die im Projekt Altersvorsorge 2020 vorgesehenen zusätzlichen Einnahmen über die Mehrwertsteuer sind sicher auch sinnvoll. Schliesslich gibt es noch ein paar wichtige Probleme zu lösen, wie zum Beispiel die verbreitete Altersarmut. Allerdings könnten wir uns sozialere Varianten der Finanzierung als die Mehrwertsteuer vorstellen, und die erpresserische Verknüpfung z.B. mit dem Frauen-Rentenalter lehnen wir klar ab. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen