MANIFEST DER UNNÜTZEN ALTEN

22. August 2014

Für die Alten nur noch Schlagzeug!

[Dieser Text ist auch im Seniorweb am 22. August 2014 erschienen]

AHV/IV beteiligen sich an der Anschaffung von Hörgeräten. Allerdings werden dabei die Rentner diskriminiert. Für sie sind offensichtlich Hilfsmittel auf dem Niveau von Hörrohren gut genug.

Kennen Sie Patricia Kopatchinskaja? Die in Bern wohnhafte Violinistin spielt Musik nicht nur, sie lebt sie. Und wenn sie über Musik spricht, spricht sie von Emotionen, von Mystik, von Geschichten und Farben. Ihr zuzuhören ist ein reines Vergnügen, ob sie nun Hayden, Bartok oder Prokofjew interpretiert oder Komponisten der Neuen Musik wie Scelsi oder Ligeti vorstellt. Bei Musik, vor allem bei Orchestermusik stelle ich mir vor, wie sich die einzelnen Töne verschiedener Musikinstrumente eines Orchesters via unser Gehör zu eigentlichen Klangskulpturen zusammensetzen und uns in allen Feinheiten das sinnliche Erlebnis des Musikhörens ermöglichen. Das ist nicht auf die sogenannt klassische oder E-Musik beschränkt, wie etwa dieses Beispiel zeigt:  http://concert.arte.tv/de/wacken-apocalyptica

Hörgeräte für die Beteiligung am sozialen Leben. Allerdings lässt die Fähigkeit des Gehörs bei Vielen mit zunehmendem Alter etwas nach. Es wird schwieriger, die Finessen einzelner Tonfolgen zu erkennen, oder im Rahmen der Orchestermusik einzelne Instrumentensoli zu unterscheiden. Und im Alltag haben viele ältere Menschen Mühe, sich etwa am Gespräch in einer Gruppe zu beteiligen, insbesondere wenn sie in einer geräuschvollen Umgebung erfolgt. Rückzug und soziale Isolation sind nicht selten die Konsequenz.
Aber zum Glück gibt’s ja Hörgeräte. Die haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten gewaltige Fortschritte gemacht, sowohl in technologischer als auch in ästhetischer Hinsicht. Es ist jetzt auch möglich, dass Menschen mit Hörbehinderungen sich an Gesprächen beteiligen oder Musik geniessen können, aber auch in der Lage sind, sich zu orientieren und etwa zu erkennen, aus welcher Richtung ein Auto kommt.

Einsparungen auf dem Buckel der kleinen Einkommen. Allerdings ist der Zugang zu solchen Hilfsmitteln nicht für alle gleich einfach. Gute Hörgeräte, die auf komplexe Beeinträchtigungen abgestimmt sind, kosten bald einmal mehrere tausend Franken. So ist es auf den ersten Blick sehr willkommen, dass die IV bzw. die AHV einen Kostenanteil übernehmen.
Gemäss dem Tagesanzeiger vom 4. August 2014 gibt es grundsätzlich für Hörgeräte einen Pauschalbetrag. So bezahlt die IV für Erwerbstätige CHF 840 für ein Gerät, bzw. CHF 1650, falls zwei Geräte benötigt werden. Die AHV, welche für die Rentner zuständig ist, bezahlt nur für ein Gerät und zwar nur CHF 630. Die Beträge reichen natürlich überhaupt nicht für die Anschaffung eines geeigneten Gerätes. Gemäss einer Evaluationsstudie des IGES Institutes müssen denn auch praktisch alle Hörgeräte-Käufer Zuzahlungen leisten. Bei mehr als der Hälfte betrug diese Eigenleistung über CHF 3‘000.


Was dies zum Beispiel für die 35% der alleinstehenden Rentnerinnen und Rentner bedeutet, deren monatliches Einkommen weniger als CHF 2‘500 beträgt, kann man sich vorstellen. Dafür wurden bei AHV/IV  rund CHF 30 Mio eingespart.

Diskriminierung der Rentner. Wir gesagt, erhalten Hörgeschädigte im Rentenalter tiefere Beiträge und nur für ein Hörgerät. Das ist nun völlig unverständlich. Gemäss Tagesanzeiger  begründet  das Bundesamt für Sozialversicherungen diese Benachteiligung damit, dass es einfacher sei, älteren Menschen den Kontakt mit der Umwelt zu ermöglichen, als die Erwerbstätigkeit (durch die IV-Beiträge) wieder herzustellen. High-Tech-Stereo also, um an Sitzungen die Anweisungen de Chefs genau zu verstehen – Hörrohr Niveau im Mono-Sound für die Diskussionsrunde mit pensionierten Kollegen im Restaurant. Dabei geht es doch bei Jung und Alt um eine präzise Kommunikation mit der Umwelt und um die Sicherheit in heiklen Verkehrssituationen. Vom Musikgenuss ganz zu schweigen. Hier sollen die Alten sich wohl mit den Paukenschlägen und der Techno-Musik zufrieden geben!
[Wobei ja auch Schlagzeuger und Perkussionisten faszinierende Musik machen, voller Finessen und Feinheiten. Hören Sie selbst: Pierre Favre.]


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