MANIFEST DER UNNÜTZEN ALTEN

11. August 2014

Pflegekosten - Krankenkassen abschaffen?

[Dieser Text ist auch im Seniorweb am 2. August 2014 erschienen]
Der Vorschlag von Avenir Suisse, die Pflegekosten durch ein individuelles obligatorisches Sparkonto zu finanzieren, läuft auf die Abschaffung der Krankenkassen hinaus.
Avenir Suisse, die neoliberale Denkfabrik, hat anfangs Juli eine tolle Idee zur Finanzierung der Pflegekosten im Alter geboren: Alle sollen ab dem 55. Altersjahr monatlich einen Betrag von rund CHF 300.- auf ein Sperrkonto einzahlen, mit dem die zukünftigen Pflege- und Betreuungskosten finanziert werden. So sollen etwa CHF 135‘000 zusammenkommen. Wer das angesparte Kapital nicht aufbraucht, kann es vererben. Hier sind ein paar Gedanken zu diesem Vorschlag:
  • Steuersenkung und Abbau von Solidarleistungen. Wie immer geht es Avenir Suisse um den Abbau des Staates sowie um die Auflösung solidarischer Leistungen. Pflege- und Betreuungskosten werden heute von den Krankenkassen bzw. durch den Staat via Ergänzungsleistungen übernommen. Mit dem von Avenir Suisse vorgeschlagenen Finanzierungsmodell wird der Staat entlastet und es können Steuersenkungen – natürlich zugunsten der Wohlhabenden – ins Auge gefasst werden. Dafür werden durch die Individualisierung der Pflegekosten die KleinverdienerInnnen mehr belastet und der Solidaritätsgedanke ausgehöhlt.
  • Für kleine Einkommen unerträglich. CHF 300 monatlich sind für hohe Einkommen ein Klacks und eine willkommene weitere Möglichkeit, Gelder steuerbegünstigt zu parkieren. Für kleine Einkommen ist das ganz einfach nicht machbar. Jede vierte Person im Rentenalter (etwa 350‘000) lebt gemäss BFS mit einem Einkommen von höchstens CHF 2‘500 im Monat, bei alleinstehenden RentnerInnen sind es sogar rund 35%. Bei diesem Betrag noch zusätzlich CHF 300 auf ein Pflegekosten-Konto einzuzahlen, ist wohl kaum realistisch.
  • Auch die Jungen! Es ist nicht einsichtig, warum nur die Alten ihre Pflege- und Betreuungskosten selber bezahlen sollen. Das Alter ist ja sowieso ein schlechter Indikator. Das Sterben ist teuer, nicht das Altwerden (Pro Senectute). Zwar sterben mehr alte Menschen als Junge, aber wenn Junge sterben, sind sie vorher auch teuer. Wer im jüngeren Alter schwer verunfallt oder krank wird, verursacht ebenfalls hohe Kosten. So ist etwa gemäss BFS die mittlere Aufenthaltsdauer in Rehabilitationseinrichtungen bei 15-39-Jährigen um rund 25% höher als bei den über 65-Jährigen. Es ist somit nichts als logisch, wenn auch die Jungen eine individualisierte Vorsorge für hohe finanzielle Belastungen einrichten.
  • Krankenkassen aufheben! Wenn wir diese Logik weiterführen, so muss jede Generation zukünftig ihre eigenen Gesundheitskosten selber tragen, wie das Avenir Suisse bereits 2005 anregte. Das Versichertenkollektiv müsste dann in Alterskohorten aufgeteilt werden, wie Pro Senectute zu Recht monierte. Das wäre wohl nur ein Zwischenschritt zur Auflösung der sozialen Krankenversicherung und der Solidarleistungen. Wer das Pech hat, krank zu werden, soll gefälligst seine Kosten selber tragen, lautet die Schlussfolgerung. Notfalls muss man sich halt mit der minimalsten Versorgung zufrieden geben und Leistungen auch für die Alten rationieren. Die Zweiklassenmedizin lässt grüssen.
  • Wir wollen unsere Einzahlungen zurück! Viele von uns Alten sind ja glücklicherweise relativ gesund durch das Leben gekommen. Und wir haben brav weit mehr in die Krankenversicherungen einbezahlt als wir an Leistungen bezogen haben. Im Sinne der Solidarität zugunsten jener, die nicht dasselbe gesundheitliche Glück gehabt haben. Wenn nun diese solidarischen Spielregeln geändert werden, wollen wir unsere nicht benutzten Prämien zurück! Da kommt wohl einiges zusammen, das nicht mehr allzu weit entfernt ist von den rund CHF 135‘000, die Avenir Suisse berechnet hat.
  • Keine Steuern mehr für Schulen und Universitäten! Nun, wenn die intergenerationelle Solidarität aufgehoben werden soll, wollen wir auch konsequent sein. Kollektive Leistungen, die praktisch ausschliesslich einer spezifischen Generation zugutekommen, sollen von dieser selbst getragen werden. Das betrifft vor allem die Bildungs- und Krippenausgaben der öffentlichen Hand, die sich auf jährlich etwa 40 Milliarden CHF belaufen. Für diese Aufgabe zahlen wir zukünftig keine Steuern mehr und leisten uns ein paar gute Pflege- und Betreuungszeiten.
Natürlich dürfen wir es nicht soweit kommen lassen. Aber Avenir Suisse spielt ja meisterhaft das Spiel der Entsolidarisierung, mit den Schlagworten der Eigenverantwortung und der Marktgerechtigkeit. Einmal mehr werden die Alten als lästiger Kostenfaktor betrachtet, und Solidarität als Ein-Weg-Prinzip. Deshalb müssen wir uns in die öffentliche Diskussion einmischen.

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